Sound of the City

Sound of the City

Interaktive Multimedia-Installation

Playing the City II, Schirn Kunsthalle, 2010

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New York, London, Berlin, Istanbul und Frankfurt sind die 5 Städte, in denen die meisten Freunde der beiden Künstlerinnen leben und auch die Ausgangspunkte einer Sound- und Videoinstallation, die im Rahmen von PLAYING THE CITY 2erstmals gezeigt wird. Den kartografischen Daten der Orte werden dabei Töne zugeteilt und in eine quasi städtetypische Musik verwandelt, die, nach den fünf Städten unterteilt, an fünf aufeinander folgenden Tagen zu hören sein wird. Auf zahlreichen gespannten Bändern und einer Pappewolke sind, zusätzlich zu den Sounds, abstrahierte Bilder der Städte zu sehen, die durch die Beteiligung der Besucherinnen und Besucher beeinflusst und verändert werden können.

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New York, London, Berlin, Istanbul and Frankfurt: are the 5 cities with the most facebook-friends of the two artists, and the starting points for a sound and video installation, to be shown for the first time in Playing the City 2. Cartographic data on these places will be assigned musical notes and transformed into a sort of music appropriate to each city, which can be heard on five successive days. To accompany the sounds, abstracted images will be displayed on stretched wires and carboard clouds. These images can be influenced and modified with the involvement of the visitors. Anny and Sibel Öztürk see their work in the context of their own experiences and memories, while being embedded in a wide network that connects them with people and places where they live and work. Their works often have the appearance of stages, where their friends and those who would like to become their friends are invited to extend the network in which the two artists locate their own identity.

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Lido

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Multi-Media-Installation

Kunsthalle Düsseldorf, 2005

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Im Zentrum der Arbeiten von Anny und Sibel Öztürk (Jg. 1970 und 1975) steht das Spiel mit kultureller Identität. Die aus der Türkei stammenden, in Offenbach lebenden Künstlerinnen untersuchen in ihren Arbeiten Einflüsse und Strukturen kultureller Hintergründe, die sich mehr als einer nationalen Kultur, mehr als einem geographischen Ort verdanken. Sie betonen die Vielfalt der Kulturen und zeigen die Vordergründigkeiten stereotyper Projektionen auf. Ihre Arbeiten, Zeichnungen, Objekte, Filme und Installationen haben einen stark erzählerischen Charakter.

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In ihrer Einzelausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle zeigen die Künstlerinnen eine zweiteilige Installation mit dem Titel „Lido“. Eröffnet wird die Ausstellung von einem Komplex von zum Teil mehrteiligen Zeichnungen und Malerei in denen Bild- und Texterzählung einander ergänzen. In verschiedenen Einzelgeschichten berichten die Künstlerinnen von Kindheitserinnerungen, in denen die Geschichten ihrer Eltern von der Türkei zu einer von der gesamten Familie geteilten Gegenwelt zum Alltag in der Bundesrepublik entwickelt werden. Dabei berichten die Eltern im Offenbach der 70er Jahre von einer Türkei aus der Zeit vor ihrer Migration nach Deutschland, das heißt, von einer Türkei der 50er und 60er Jahre. Diese Gegenwelt lässt sich in Ferienaufhalten bei Großeltern und Tanten aufsuchen und entfaltet in all ihrer Andersartigkeit von Wahrnehmungen, Gebräuchen und Gerüchen aber auch anderen sozialen Traditionen und vermittelten Wertevorstellungen, ihre eigene, für die Künstlerinnen prägende Faszination.

Alle Photos: Yun Lee und Achim Kkulies

Alle Photos: Yun Lee und Achim Kkulies

Der Parcours der Zeichnungen führt zu einer Tür, über der ein Leuchtschriftzug „Lido“ prangt und neben der ein Text ein weiteres Erinnerungsszenario eines Ortes beschreibt. In einem ähnlichen Verhältnis in dem sich in den Zeichnungen Bild- und Texterzählung ergänzen, fungiert hier der Text als individueller Erinnerungsbericht zu einem sich den BetrachterInnen hinter der Tür als großräumige Installation entwickeltem Bild. Der in diesem Bild beschriebene Ort ist in den Zeichnungen bereits mit Erinnerungserzählungen eingeführt. Es ist dunkel, warm und riecht nach Sommer. Ein von niedrigen Ballonleuchten im Stil der späten 50er Jahre beleuchteter Weg schlängelt sich durchs Grüne, das mit einigen Büschen und Bäumen bezeichnet wird. An einigen Bänken vorbei führt der Weg zu einem See mit einer Holzplattform an der eine kleine Bar gelegen ist. Über dem Wasser steht der Mond, Zikaden zirpen, fremde Gerüche erfüllen die Luft, Lampions leuchten in frohen Farben und längs der Plattform erscheint die filmische schwarz weiß Projektion einer Jazzband, deren Spiel den soundtrack der Installation bestimmt und die Plattform am See in einen Tanzboden verwandelt.

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Der Text spricht von türkischen Süßspeiselokalen am Wasser, von Eiscreme, Filmprojektionen im Freien, der Hand des Großvaters, vom Kindsein im Sommer. All dies weist den in der Installation beschriebenen Ort als eine freie bildhafte Nacherzählung individueller Erinnerungen aus. Diese Informationen nehmen die BetrachterInnen mit in den Raum hinein und können der Subjektivität dieser Erinnerungen nachspüren. Sie treffen auf die Bezeichnungen einer Vielzahl spezifischer kultureller Determinanten, die einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu markieren scheinen. Doch verliert sich die Installation keineswegs in der Illustrierung von Privatem. In Zitaten und Assoziationen von filmischen Bildern, Szenen etwa aus den Hollywoodfilmen „Roman Holiday“, oder „Houseboat“, die über einen Monitor in die Installation eingespielt werden, erfährt die Gestaltung des Ortes eine Verallgemeinerung. Auch der Titel der Arbeit, „Lido“, verweist auf eine Vielzahl möglicher Orte. Lido, leitet sich vom lateinischen litus, Strand, ab und bezeichnet mehr als nur ein Strandbad in Venedig, sondern fungiert vielmehr als ein leicht antiquierter Inbegriff von Orten der Vergnügungen am Wasser. Für die BetrachterInnen ergibt sich damit eine Offenheit, die einlädt, eigene Assoziationsräume zu erschließen. So bieten die Künstlerinnen in ihrem eigenen Erinnerungsraum Platz für andere Vorstellungen und führen diese Geste in ihrer Arbeit fort. Die Tradition türkischer Gastfreundschaft, den Anny und Sibel Öztürk in ihren Bilderzählungen als einen der wichtigsten Aspekte der von den Eltern vermittelten türkischen Kultur betonen, kommt in der Installation in mehrfacher Hinsicht zum Tragen. Zahlreiche KünstlerInnen sind eingeladen ihre Filme, Performances, Klangarbeiten in der Ausstellung vorzustellen.

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Anlässlich der Finissage, schließlich werden die BesucherInnen von den Künstlerinnen persönlich als Gäste empfangen und mit selbst zubereiteten türkischen Nachspeisespezialitäten und türkischer Live-Musik verwöhnt.

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Lido vermittelt in unterhaltsamer erzählerischer Form ein interessantes Bild eines komplexen Kulturgefüges. Der Blick zurück auf Unvergessenes von Anny und Sibel Öztürk ist weit mehr als ein freundliches Wiederauflebenlassen lauer türkischer Sommerabende im Düsseldorfer Winter. Vielmehr werden hier die Brechungen und Projektionsleistungen beschrieben, die für MigrantInnenkulturen charakteristisch sind. Derartige Brechungen und Projektionen bestimmen jedoch nicht nur den Blick der Künstlerinnen auf das, aus der Gegenwelt innerfamiliären Erinnerns geprägte Bild des türkischen Anteils an der eigenen Identität. Auch von ihrer Außenwelt werden die in der Bundesrepublik aufgewachsenen, lebenden und arbeitenden Schwestern stets mit diesem Identitätsanteil konfrontiert, – nicht selten gänzlich auf ihn festgelegt. In der Rolle als „Gastgeberinnen“ begegnen sie dieser Erwartungshaltung mit familiärem Charme und mit viel Ironie. Mit den Arbeiten der von ihnen eingeladenen KünstlerInnen öffnet sich „Lido“ einer Vielzahl unterschiedlichster Ansätze und Strategien Identitäten zu beschreiben und zu untersuchen.

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Rafael von Uslar

One Gleam or the other

One gleam or the other

 

Photo: Wolfgang Günzel

Photo: Wolfgang Günzel

Hotelzimmer können die ödesten Orte der Welt sein. Sie sehen überall gleich aus. Ihre Einrichtung ist nüchtern und anonym gehalten, um dem Reisenden möglichst wenig Widerstand und eine zurückhaltende Oberfläche zu bieten.

Ein solches Zimmer haben die beiden in Offenbach lebenden Schwestern Anny und Sibel Öztürk in einem Raum der Galerie aufgebaut und mit Gegenständen eingerichtet, die man nur allzu gut aus Möbel-Discountern kennt.

Wie Menschen sich einen solchen fremden, anonymen Ort auf ihre ganz persönliche Art und Weise aneignen, erfährt man im zweiten Raum der Galerie.

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Im Zentrum der auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirkenden Arbeiten (Installationen, Fotos, Filme, Zeichnungen) von Anny und Sibel Öztürk steht die Beobachtung von Menschen in ihrem Lebensumfeld. Die beiden Schwestern fragen in ihren Arbeiten nach den Einflüssen und Strukturen, die unser vermeintlich individuelles Leben bestimmen: Wo kommt jemand her? Welchen kulturellen Hintergrund hat er? Welcher Tätigkeit geht er nach? Der Fokus der Arbeiten kann dabei ganz auf der eigenen Person liegen. In Installationen wie Story No 6 rekonstruieren die beiden Schwestern ihre eigene Kindheit als Töchter türkischer Migranten, die sich immer wieder zwischen der alten und der neuen Heimat bewegten. Das Interesse der Künstlerinnen ganz sich aber auch auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe richten. Anny Öztürk macht in ihrer Serie superheroes die Vorstellungen Jugendlicher von Schönheit, Glück und Macht transparent, indem sie charakteristische Merkmale aus Werbebildern nachzeichnend und überzeichnend heraus stellt.

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Einige der Arbeiten erzählen uns auch, dass der beobachtende Blick immer nur ein subjektiver sein kann. One gleam or the other nimmt in der zweifachen Perspektive auf ein und dieselbe Situation Bezug auf frühere Fotoarbeiten, in der der unterschiedliche Blick der Schwestern auf eine Geschichte die Differenz von Realität und Darstellung deutlich macht.

Die Arbeiten der beiden in der Türkei geborenen und in Offenbach lebenden Schwestern drehen sich um eine grundlegende Frage der menschliches Existenz: die nach der eigenen Identität. Ob sie die eigene Kindheit als Töchter türkischer Migranten in Zeichnungen, Installationen oder Skulpturen aus der Erinnerung rekonstruieren, oder eine bestimmte Geschichte aus wechselnden Perspektive schildern: Immer stellen die Arbeiten von Anny und Sibel Öztürk Fragen nach den Einflüssen und Strukturen, die unser vermeintlich individuelles und einmaliges Leben bestimmen.

Der Text „Neither“ von Samuel Beckett wurde im Film von James Clowney gesprochen.

NEITHER

to and fro in shadow from inner to outer shadow

from impenetrable self to impenetrable unself

by way of neither

as between two lit refuges whose doors once

neared gently close, once away turned from

gently part again

beckoned back and forth and turned away

heedless of the way, intent on the one gleam

or the other

unheard footfalls only sound

till at last halt for good, absent for good

from self and other

then no sound

then gently light unfading on that unheeded neither

unspeakable home

(Samuel Beckett)

Der Text „The Loop“ ist von Julien Cottereau und wurde von ihm im Film gesprochen.

THE LOOP

Here comes the ohm’s sound before (welcome ohm) then

Here comes the turning rocks‘ melody off then

Here comes the voice: human birds‘ souls then

The alchemy question why are we here?

Embraces the universal harmony with unborn bullshits

Welcome to paradise welcome

To hell Earth

Sounds of winds, fights and car-crashes yeh great

Mix tears and laughs together

Scratches and voices struggling

Trying to light the void

Birth and dying

Suns and black holes

Labyrinths Puzzles Games

Of questions and answers

Being so little feeling so huge

Smelling this cloud

Hoping the gold

Rain friends and relatives saved forever

Begging for redemption and pleasing

Our limits Being

Human and then

Here comes the ohm’s sound before (welcome ohm) after whenever then

Here comes the loop

Here comes the loop

Here comes the loop again

Here comes the loop

(Julien Cottereau)

Nö-Performance

NÖ“ Performance

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Anny und Sibel Öztürk treffen sich auf einer grünen Wiese und machen dass, was türkisch-stämmige Mitbürgerinnen im öffentlichen Berliner Grün gerne und stets gekonnt tun: Sie picknicken. Zwischen den Schwestern gibt es eine mehr als augenfällige Rollenverteilung. Beide repräsentieren je einen dominierenden türkischen Frauentypos. Da ist zum einen die verkopftuchte, ganzkörperverschleierte Integrationsresignationserscheinung. Zum anderen gibt es den extrem aufgetunedten, jedoch gänzlich bieder restriktiv-klemmigen Vamp.

Und was machen zwei türkische Frauengestalten, die im Berliner Grün sich picknickend öffentlich verbreiten? Richtig: Sie rezipieren Joseph Beuys!

Die Damen bestreiten ihre ausschließliche Kommunikation in der modifizierenden Aufführung einer Beuys/Stüttgen/Christiansen Performance an der Düsseldorfer Kunstakademie, unsterblich geworden durch die von Christiansen besorgte Aufzeichnung: Jajajaja, neeneenneenneennee. Im Vortrag wechseln sich die Schwestern, dem historischen Vorbild der Performance entsprechend, in den Akten der Bejahung und der Verneinung ab. Das Nee wird dabei durch das emphatischere Nö ersetzt.

Die Performance richtet sich an zwei Adressaten und bedient diese sowohl gleichzeitig wie auch höchst unterschiedlich. Das Klischee des bipolaren türkisch-bundesrepublikanisch etablierten Frauenbildes existiert sowohl für die (Paralell-)Gesellschaft der MigrantInnen, wie auch für die restliche bundesrepublikanische Öffentlichkeit.

Den gesellschafts-kulturell-strategisch gleichermaßen in Bestätigungs- wie Verneinungsritualen verhafteten MigrantInnengemeinschaften zieht dieser einfache Kunstgriff gleichermaßen die wohlbehauptete Picknickdecke unter den Füssen weg.

Der bundesrepublikanischen Restgemeinschaft wird das Klischeedenken und das eigene Unbehagen dokumentiert. Hier darf jedes Nönönö auf Szenenapplaus hoffen! Und meint bei längerem Nachdenken dann doch immer auch „sich selbst“ (Jenen schönen eingestempelten Beitrag zu dem handschriftlichen Textauftrag „wer nicht denken will fliegt raus“, den die als Karteikarte gestaltete Postkarte von 1977 von Joseph Beuys verbreitet.)

Abwehr im Innen- wie im Außenverhältnis. Gezeigt werden dabei letztendlich die, die keine besondere Sichtbarkeit in der deutschen Gesellschaft haben. All jene, die nach drei Generationen Immigration trotz politisch erklärtermaßen verweigerter Integrationspolitik in dieser, der Gesellschaft der Bundesrepublik ihr kultürlich-normales Vorkommen haben, für die diese Beuyssche Performance die grundsätzliche Polarität von Bestätigung und Verneinung benennt, die so grundlegend ist für Europäisches Kulturverständnis.

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Es ist ein einfaches aber in vielfacher Hinsicht hintergründiges Spiel, dass die zwei Frauen auf ihrer Picknickdecke in Berlin treiben. Nun hält das Picknick in seiner liebevollen Eindeutschung – und darum geht es ja auch irgendwie… – immer schon das Nicken parat. Eindrücklich ist an der Beuysschen Idee, dass sich immer, sowohl die Bejahung, als auch die Verneinung stets selbst bestätigen. Und so gibt sich hier Recht, was das eigne Recht sinnstiftend hinterfragt.

Rafael von Uslar