Nö-Performance

NÖ“ Performance

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Anny und Sibel Öztürk treffen sich auf einer grünen Wiese und machen dass, was türkisch-stämmige Mitbürgerinnen im öffentlichen Berliner Grün gerne und stets gekonnt tun: Sie picknicken. Zwischen den Schwestern gibt es eine mehr als augenfällige Rollenverteilung. Beide repräsentieren je einen dominierenden türkischen Frauentypos. Da ist zum einen die verkopftuchte, ganzkörperverschleierte Integrationsresignationserscheinung. Zum anderen gibt es den extrem aufgetunedten, jedoch gänzlich bieder restriktiv-klemmigen Vamp.

Und was machen zwei türkische Frauengestalten, die im Berliner Grün sich picknickend öffentlich verbreiten? Richtig: Sie rezipieren Joseph Beuys!

Die Damen bestreiten ihre ausschließliche Kommunikation in der modifizierenden Aufführung einer Beuys/Stüttgen/Christiansen Performance an der Düsseldorfer Kunstakademie, unsterblich geworden durch die von Christiansen besorgte Aufzeichnung: Jajajaja, neeneenneenneennee. Im Vortrag wechseln sich die Schwestern, dem historischen Vorbild der Performance entsprechend, in den Akten der Bejahung und der Verneinung ab. Das Nee wird dabei durch das emphatischere Nö ersetzt.

Die Performance richtet sich an zwei Adressaten und bedient diese sowohl gleichzeitig wie auch höchst unterschiedlich. Das Klischee des bipolaren türkisch-bundesrepublikanisch etablierten Frauenbildes existiert sowohl für die (Paralell-)Gesellschaft der MigrantInnen, wie auch für die restliche bundesrepublikanische Öffentlichkeit.

Den gesellschafts-kulturell-strategisch gleichermaßen in Bestätigungs- wie Verneinungsritualen verhafteten MigrantInnengemeinschaften zieht dieser einfache Kunstgriff gleichermaßen die wohlbehauptete Picknickdecke unter den Füssen weg.

Der bundesrepublikanischen Restgemeinschaft wird das Klischeedenken und das eigene Unbehagen dokumentiert. Hier darf jedes Nönönö auf Szenenapplaus hoffen! Und meint bei längerem Nachdenken dann doch immer auch „sich selbst“ (Jenen schönen eingestempelten Beitrag zu dem handschriftlichen Textauftrag „wer nicht denken will fliegt raus“, den die als Karteikarte gestaltete Postkarte von 1977 von Joseph Beuys verbreitet.)

Abwehr im Innen- wie im Außenverhältnis. Gezeigt werden dabei letztendlich die, die keine besondere Sichtbarkeit in der deutschen Gesellschaft haben. All jene, die nach drei Generationen Immigration trotz politisch erklärtermaßen verweigerter Integrationspolitik in dieser, der Gesellschaft der Bundesrepublik ihr kultürlich-normales Vorkommen haben, für die diese Beuyssche Performance die grundsätzliche Polarität von Bestätigung und Verneinung benennt, die so grundlegend ist für Europäisches Kulturverständnis.

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Es ist ein einfaches aber in vielfacher Hinsicht hintergründiges Spiel, dass die zwei Frauen auf ihrer Picknickdecke in Berlin treiben. Nun hält das Picknick in seiner liebevollen Eindeutschung – und darum geht es ja auch irgendwie… – immer schon das Nicken parat. Eindrücklich ist an der Beuysschen Idee, dass sich immer, sowohl die Bejahung, als auch die Verneinung stets selbst bestätigen. Und so gibt sich hier Recht, was das eigne Recht sinnstiftend hinterfragt.

Rafael von Uslar