Behind the Wheel

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Anny Öztürk, die noch in Istanbul zur Welt kam, und ihre Schwester Sibel Öztürk, geboren  in Eberbach/Neckar, gehören der zweiten Generation türkischer Migranten an und haben an der Frankfurter Städelschule studiert.
Sie beschäftigen sich intensiv mit der Konstruktion von Erinnerung und mit Räumen, in denen sich Erinnerung abzeichnet. Dabei geht es nicht darum, originäre Erlebnisse und Bilder abzurufen, sondern diese retrospektiv zu erneuern und zu kontextualisieren. Die Erinnerungsform ist stets eine rückblickende, der Ausgangspunkt aber ist die Gegenwart der Künstlerinnen. Bei den Öztürks ist das Erinnern und das damit verbundene Produzieren von Bildern und Texten Bestandteil ihrer künstlerischen Verfahrensweise. Ausgangspunkt für viele ihrer Arbeiten ist die eigene Kinderzeit, Erfahrungen, die sie und ihr Aufwachsen prägten.
Im Zentrum ihrer Installation Behind the Wheel beispielsweise steht ein historischer weißer Mercedes, der mit Koffern und Teppich beladen ist. Das Kennzeichen OF – X 409 verortet den Wagen im hessischen Offenbach, wo die Öztürk-Schwestern aufwuchsen.
Von dort ging es alljährlich im Sommer in die Türkei, und die tagelange Autofahrt führte die Familie durch osteuropäische Länder wie Jugoslawien, Bulgarien, Österreich, Italien, Griechenland und auch mal Rumänien. Diese Reiseroute dokumentieren die Öztürks auf mehreren Landkarten und verbinden einzelne Stationen dieser Fahrt mit Erinnerungsbildern. In diesen kolorierten Zeichnungen, die auf eigenen Familienfotografien beruhen, visualisieren Öztürks kleine Szenen. Handgeschriebene Texte erläutern die Bilder, breiten aber auch ein Narrativ aus, das scheinbar auf erlebter Erinnerung basiert und einen tagebuchähnlichen Charakter evoziert. Da die Bilder jedoch stets formelhaft und reduziert wirken, die Personen mehr als Typen denn als Individuen ins Bild treten, wird von der subjektiven Erinnerung abstrahiert und es bleibt Platz für eigene Projektionen.
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Öztürks verarbeiten in ihren Zeichnungen Ausschnitte aus einer Kindheit, die von einer nicht-deutschen Herkunft geprägt ist, sie beschreiben einen Zustand, der ihre Sozialisation bestimmte. Nur während der Sommermonate lebten die beiden bei Großeltern und Tanten und waren mit anderen Gebräuchen und Traditionen konfrontiert. Diese Erfahrung teilen sie mit vielen anderen Migrantenkindern, die Jahr für Jahr in das Herkunftsland der Elterngeneration fuhren und dort nur einen Ausschnitt einer sogenannten Heimat erlebten.
Burcu Dogramaci

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