Hafenküche

hafenkuche04Photo: Paola Anziche

 

HAFENKÜCHE, 2005

hafenkuche03Photo: Pfeifle/Westermeier

Hafenküche

Die beiden Schwestern Anny und Sibel Öztürk, gestalteten ab Dezember 2005 für den Zeitraum von sechs Monaten in dem, bis dahin nur selten genutzten Lokschuppen der Hafenbahn, einen Art Kunst-Club.

Jeden Donnerstag und Samstag luden Sie ein, am frühen Abend die Hafenküche zu besuchen und dort die stückweise Metamorphose der Halle zu bewundern, das Rahmenprogramm aus Film, Musik und Installationen zu konsumieren und natürlich exquisit zu speisen.

Das Menu bestand jeweils aus einer Vorspeise, einem fleischigen und einem vegetarischen Hauptgericht, und einem Nachtisch, das mit feinen Getränken abgerundet wurde.

Das Kochen und Essen wurde flankiert von Musik, Film, Performance, Installationen und Ausstellungen.

Für die Verwandlung der acht Meter hohen Halle in einen stimmungsvollen „Dining Room“, liessen Anny und Sibel nicht nur ein komplettes Mobiliar quer durch die Republik chauffieren, sondern auch den Boden mittels eines kompletten Podests anheben. 

hafenkuche01Photo: Sandra Mann

 

Dauer-WandInstallation:

Martin Pfeifle und Christoph Westermeier „Wand- for Paul Smith“
Wandarbeit für das Hafenküchen-Projekt von Anny und Sibel Öztürk im Offenbacher Hafen 2.
Die ca. acht Mal zwölf Meter große, schon bestehende Rigipswand, ist Ausgangspunkt der in situ geplanten und ausgeführten Arbeit von Martin Pfeifle.
Jede der Rigipstafeln wird diagonal geteilt und eine Hälfte schwarz gestrichen. Durch diese Aufteilung ergibt sich ein Rautenbild, welches die vorhandene Wand mit einbezieht und so dem Betrachter die skulpturalen Momente der Architektur vor Augen führt. Pfeifle lässt somit die Wand zu einer Skulptur werden. Das auf der linken Seite gleichmäßige Rautenmuster, löst sich im rechten Teil der Wand chaotisch, der Anordnung der Tafeln entsprechend auf.
Addiert wird diese Wandarbeit mit Fotografien von Christoph Westermeier. Der Thomas Ruff Schüler, stellt drei großformatige Handybilder aus, die das Thema Raum thematisieren. Im Gegensatz zu Pfeifle, wird sich hier dem Thema jedoch durch eine Einsicht genähert. Dem Betrachter wird die Möglichkeit gegeben, mit seinen Blicken den Raum zu betreten. Aufgrund der Ästhetik der Handykamera, ergibt sich eine brüchige Farbigkeit, die in krassem Gegensatz zu Pfeifles Schwarz/Weiß-Konstruktion steht.

hafenkuche02Photo: Pfeifle/Westermeier

 

Presse:

hafenkuchebericht

kunstforumhafenkuche

Rear Window

Rear Window (Story No. 6)“

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Anny und Sibel Öztürk haben mit „Rear Window (Story No. 6)“ das Wohnzimmer ihrer Großtante aus Istanbul mit allem, was an Mobiliar und Atmosphäre dazugehört, rekonstruiert: Fernseher, Vitrine, 1950er-Jahre-Möbel aus Holzimitat, Deckchen, ein blasser Rokoko-Gobelin und ein Großfoto von einem See inmitten der schneebedeckten Rocky Mountains; es ist düster und heiß; laute Straßengeräusche sind zu hören, Stimmen reden durcheinander, die Vorhänge blähen sich und das Licht eines Autoscheinwerfers streift am Fenster vorbei.

Damit versetzen sie die Betrachter und Betrachterinnen nicht nur ins vermeintliche Istanbul, sondern in erster Linie in eine unheimliche Spannungssituation. Der Titel der Installation trägt den Namen eines Hitchcock-Films „Das Fenster zum Hof“ und in Öztürks „Rear Window“ spukt der Geist der Tante. Anny und Sibel Öztürk verbrachten in dem Istanbuler Zimmer jeweils eine Woche, bevor es mit der Familie ans Meer ging.

Die Installation rekonstruiert insofern kein Zimmer in, sondern eine Kindheitserinnerung an die Türkei, vermittelt durch einen amerikanischen Film. Die scheinbare konkrete Ortsbezogenheit auf Istanbul verdankt sich der Ortlosigkeit der Erinnerung, die sich ständig mit anderen Bildern vermischt. Folgt man der Installation, sind es solche imaginären Projektionen auf die Vergangenheit, die einem seine Identität verschafft.

rw-02

rw-04

6

es ist dunkel im zimmer und es ist sehr heiss. ich brauche nicht meine augen zu öffnen, um festzustellen, dass meine grosstante einige meter weiter, auf ihrer klappcouch schläft. ich rieche sie. sie riecht nach essig. das schützt vor moskitos, die sich nachts über uns hermachen. sie kommen in massen durch die fenster, die im ganzen haus offen stehen.

keine kühlung in sicht, obwohl vor vielen stunden die sonne untergegangen ist. ich war zeugin. ich sah wie scheinbar das meer sie verschluckte. dabei hatte ich eine cola gezischt. wir hatten in einem der teegärten gesessen, die sich wie perlen an der schnur um die kaimauer reihen.

ich öffne die augen. meine tante atmet gleichmäßig. sie schläft. ich frage mich, warum ich nicht schlafe. was hat mich geweckt? die uhr zeigt mit dem kleinen zeiger auf die vier und mit dem grossen einen oder zwei nach zwölf.

da höre ich es wieder. ein entferntes rufen oder singen.

ich weiss, dieses für meine ohren ungewöhnliche geräusch, hat mich geweckt. es ist ein „ezan“. das heisst, dass ein hoca sich in einem minaret der moschee ganz oben hinstellt und ganz laut betet. also, so kann man es jedenfalls erst mal zusammenfassen.

wenn ich mich konzentriere, kann ich noch mehr ezanrufe hören. je stadtteil eine stimme und istanbul hat eine menge stadtteile. natürlich kann ich nicht alle hören.

die lauteste stimme kommt aus unserem stadtteil bakirköy und die hat mich vermutlich geweckt. mir gefällt es gut. ich fliege mit den stimmen über der stadt umher und schlafe dabei einfach ein.

es ist schon hell im zimmer und noch viel heisser als in der nacht. mir rinnt der schweiss die schläfen runter. draussen hupt es und ich höre viele stimmen. menschen, die sich unterhalten. die taxifahrer aus der taxizentrale gegenüber, die auf stühlen vor ihrem büro, an der strasse sitzen. frauen, die aus ihren fenstern ihre bestellungen dem verkäufer des minimarktes an der ecke, zurufen. (ohne aus dem fenster zu sehen, weiss ich, dass sie ihre flechtkörbe aus dem fenster abseilen, um die bestellten waren entgegen zu nehmen.) strassenverkäufer und altwarenhändler, die in einem mir unverständlichen kauderwelschsingsang, ihre waren anbieten. und dies alles wird untermalt von einem ständigen hupen. kurze huper, die zeigen wer die vorfahrt hat oder die fussgänger warnen sollen, sich schnell wieder von der fahrbahn zu machen oder einfach nur huper aus gewohnheit.

huphuphup.

als wir alle um den grossen tisch sitzen und frühstücken, klingelt es. meine mutter springt auf und geht zur tür. einige sekunden später ruft sie meine tante. sie klingt…ja, irgendwie verzweifelt. meine tante schlurft zur tür, dann höre ich sie reden und ich höre, wie sie sagt : „na dann zeig mal.“ und meine mutter :“aber tante, lass doch.“

von neugier getrieben, gehe ich langsam zur tür. unter dem arm meiner tante, die die tür festhält, schaue ich auf ein elfjähriges mädchen. sie schaut etwas traurig. ihr kleid ist schmutzig. genau wie ihre haare. sie zieht den rock hoch und ihre unterhose runter. was ich da sehe, verstehe ich nicht. ich schaue irritiert in ihr verzweifeltes gesicht. sie ist ein hübsches mädchen mit traurigen augen. aber unter ihrem kleid ist sie ein junge. ich taumele zurück und höre noch, wie meine mutter und meine tante ihr geld geben. sie sagt, sie spare für die operation und bedankt sich leise.

in eberbach hatte ich im letzten sommer eine dicke raupe gefunden, in unserem garten. meine eltern hatten mir erlaubt, sie zu behalten. dabei hatten sie sich belustigt angelächelt.

ich legte die raupe auf den esstisch auf ein grosses salatblatt, bevor ich ins bett ging. Am nächsten morgen war sie verschwunden. Wütend hatte ich meine eltern angesehen, die mich angrinsten. mein vater hatte auf die gardine gedeutet. ich hatte hochgesehen und da sass ein schmetterling. an seine farbe kann ich mich nicht mehr erinnern aber ich glaube, sie war so gelb wie der löwenzahn, der sich in eine pusteblume verwandelt. und genauso hatte sich meine raupe in einen schmetterling verwandelt.

und so wird sich dieses mädchen in ein richtiges mädchen verwandeln“, sagte mein vater. Irgendwie freue ich mich für sie.

draussen bestellte eine frau ein brot, einen eimer joghurt und ein halbes kilo salz und dann sauste ein korb nach unten, an unserem fenster vorbei.