„Das Auge des Sammlers“ von Anny und Sibel Öztürk

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Anny und Sibel Öztürk
Das Auge des Sammlers

Für ihre Ausstellung Das Auge des Sammlers schaffen Anny und Sibel Öztürk ein intimes Sammlerkabinett. Auf 11qm gestalten sie Tableaus, die eigene Raumeinheiten entstehen lassen. Bilder realer Sammlerhaushalte und bekannter Kunstwerke werden zur materiellen Grundlage für fiktive Szenarien genommen. Wie in einer filmischen Abfolge eröffnet sich dem Besucher auf kurzen räumlichen Distanzen ein Raum nach dem anderen. Denn so überschaubar das Raumangebot des Ausstellungsortes auch sein mag, so vielfältig sind die Eindrücke unterschiedlicher räumlicher Zusammenhänge, welche die Künstlerinnen hier entstehen lassen.

Sammler haben ein sehr eigenwilliges Verhältnis zu den Dingen, die sie zusammentragen, meist, um sich mit ihnen zu umgeben. Nach Walter Benjamin ist „die wahre, sehr verkannte Leidenschaft des Sammlers … immer anarchisch, destruktiv. Denn dies ist ihre Dialektik: Mit der Treue zum Ding, zum Einzelnen, bei ihm Geborgenen, den eigensinnigen subversiven Protest gegen das Typische, Klassifizierbare zu verbinden. Das Besitzverhältnis setzt völlig irrationale Akzente.“1

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In erster Linie bedeutet Sammeln sich Dinge anzueignen. Dabei geht der Zugriff auf den Gegenstand oder das Kunstwerk weit über den bloßen Erwerb, das Vom-Markt-Nehmen, hinaus. Ein Sammler stellt individuell geprägte Zusammenhänge her, denen er die Objekte seiner Begierde einfügt, sie unterordnet. Das einzelne Objekt steht nicht mehr für sich selbst, sondern ist immer auch Teil einer oder besser einer Vielzahl von Erzählungen, denen das Anliegen der Sammlung ein Leitmotiv verleiht.

„Der Besitz (ist) das allertiefste Verhältnis …, das man zu Dingen überhaupt haben kann“ Der Sammler eignet die Gegenstände seines Begehrens dem eignen Leben an macht sie zu einem Teil seiner Biographie. Sie werden für ihn zu einem Gegenstand der Selbst-Identifikation „er selber ist es, der in ihnen wohnt“.2 Diese Aneignung überformt den Blick auf den Gegenstand. Im Auge des Sammlers erscheint dieser daher stets im Filter der an ihn herangetragenen Bedeutung und biographischen Legendenbildung. Es ist dies eine „vollkommen phantasmagorische“ Form der Wahrnehmung, so wie sie Michel Leiris in seinem Essay „Das Auge des Ethnographen“ dem Durchschnittseuropäer, für dessen stets „durch seine weiße Mentalität“ gefilterte Sicht, auf außereuropäische Kultur attestiert.3

Anny und Sibel Öztürk machen diese überformende Aneignung der Bilder zum sichtbaren Anschauungsgegenstand und bestimmenden Thema ihrer Installationen. In diesem Projekt treten sie selbst als Sammlerinnen in Erscheinung. Ihre Bearbeitungen nehmen eigene Erzählzusammenhänge auf, um sie sogleich unmittelbar sichtbar, mit der bildlichen Syntax zu verweben – oder besser: zu verkleben. Schließlich bedienen sich die Künstlerinnen, neben verschiedenen Reproduktionstechniken, bevorzugt der Collage!

Picasso, Arp, Lichtenstein, Beuys, Polke, alles aus der einen Hand zweier Künstlerinnen, die in einem begehbaren Panorama, ihre Schätze und Kostbarkeiten ausbreiten und öffentlich zugänglich machen. Alles auf 11qm, in der Mommsenstrasse, in Berlin Charlottenburg.

Rafael von Uslar

1 Walter Benjamin, Lob der Puppe, in: Gesammelte Schriften, Band III, Hg. v. Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt a.M.,1991, S. 216.
2 Walter Benjamin, Ich packe meine Bibiliothek aus, in: Gesammelte Schriften Band IV-1, Hg. v. Tillman Rexroth, Frankfurt a.M.,1991, S. 396.
3 Michel Leiris, Das Auge des Ethnographen, in: Ethnologische Schriften Band 2, Hg. v. Hans-Jürgen Heinrichs, Frankfurt a.M., 1985, S. 34.

Say Say Say

SAY SAY SAY

Eine Lichtinstallation von Anny und Sibel Öztürk

Photo: Sandy Derl

Photo: Sandy Derl

Mach das Licht aus, wenn Du gehst steht in großen schwarzen Lettern auf weißem Grund eines Leuchtkastens, der die Form einer Sprechblase annimmt. Er ist Teil der Installation Say Say Say von Anny und Sibel Öztürk und damit einer von fünf Leuchtkästen unterschiedlicher Größe, die sich um eine Fensteröffnung an der Fassade des Rathauses von Offenbach gruppieren. Die Leuchtkästen als Sprechblasen führen eine Bildfigur des Comics aus der Zweidimensionalität des Printmediums, in die Dreidimensionalität der Skulptur.

Sprechblasen bilden Texte ab, die als eine Sichtbarmachung von Gesprochenem verstanden werden sollen. Und so werden die Leuchtkästen zu Abbildungsflächen von Gesprächsinhalten, die sich dank der auf die Fensteröffnungen ausgerichteten Hinweisstriche, mutmaßlichen Figuren zuordnen lassen. Diese bleiben jedoch von außen gesehen unsichtbar. Hier trifft die erwähnte Aufforderung auf Zitate von Prof. Moellendorf, Obi Wan Kenobi und eine universelle Exklamation. In Abwesenheit einer verbindenden Erzählung stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die Texte der Blasen stehen. Allein, die dem Comic eigene Logik, dass das in einem Moment Gesprochene und im nächsten Moment Verklungene dauerhaft sichtbar zu lesen steht, schafft hier zumindest einen äußeren Zusammenhang der einzelnen Sprechakte.

Der Rest ist Schweigen. Dass sich diese Aussage bewahrheitet, wird unmittelbar anschaulich, da sonst wohl die gesamte Rathausfassade mit Sprechblasen überzogen wäre. Anders als für die Texte der Leuchtkästen, steht der Handlungsrahmen für das Shakespeare-Zitat zweifelsfrei fest. Mit dieser klugen Bemerkung beendet Hamlet bekanntlich mehr als nur seinen Dialog mit Horatio.

Mach das Licht aus, wenn du gehst – in Offenbach gilt das erst zum Ende der Luminale.

Rafael von Uslar

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