Das Auge des Sammlers im Lili-Tempel

Das Auge des Sammlers II, 2016

zu Gast im Lili-Tempel in Offenbach

Die Vernissage/Austellung im Lilitempel in Offenbach, geht nur einen Abend lang.
Wladimir Kaminer wird mit seinem Filmteam von 3Sat vor Ort sein und Aufnahmen machen.

 

Mit freundlicher Unterstützung
von Dr. Claudia Nagel und des Amtes für Kultur- und Sportmanagement der Stadt Offenbach

Der Metzlersche Badetempel in Offenbach am Main, vom Volksmund Lili-Tempel genannt, ist ein ehemaliger klassizistischer Badetempel des Frankfurter Bankiers Friedrich Metzler in der Offenbacher Innenstadt.

Erbaut wurde der Badetempel 1798 vom französischen Architekten Nicolas Alexandre Salins de Montfort, nachdem Metzler 1792 seinen Sommersitz nach Offenbach verlegt hatte. Der Bau gilt als Montforts einziges Werk im Rhein-Main-Gebiet, das im Ursprungszustand erhalten ist.

Der Tempel erhielt im Volksmund seinen Namen Lili-Tempel nach der Verlobten Johann Wolfgang von Goethes, Anna Elisabeth Schönemann, mit der sich dieser 1775 im umliegenden Park zu treffen pflegte. Der Park erhielt den Namen Lili-Park erst zum 100. Todestag Goethes im Jahre 1932.  – Wikipedia

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Another Brick in the Wall

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Another Brick in the Wall

An der Paul Hindemith Schule gilt es den zentralen Aufenthaltsraum der Schule zu gestalten. Diese Gestaltung soll als ein von Künstlern begleitetes Schulprojekt entwickelt werden.

Am Anfang der Entwicklung einer Gestaltungsidee steht die Frage an die Schülerinnen und Schüler, was sie sich für ihre Schule und für den Aufenthaltsraum im Besonderen wünschen. Welche Gemeinsamkeiten sie für sich entdecken.

Die künstlerische Konzeption sieht vor, dass die Schüler exemplarisch eine „Stimme“ bekommen, das heißt zu Wort kommen, mit dem, was ihnen wichtig ist.

Als Leitmotiv dient die Internationalität der Schule. Ihr Namensgeber, einer der bedeutendsten Komponisten des Zwanzigsten Jahrhunderts, lehrte und arbeitete in Deutschland, der Türkei, der Schweiz und den USA. Die internationale Wirkung seines Schaffens geht zudem bis heute noch sehr weit über diese Lebensstandorte hinaus. An „seiner“ Schule kommen Lehrende und Lernende zusammen, deren Familien in den unterschiedlichsten Nationalitäten ihr Herkommen haben. Diese Internationalität stellt einen großen Reichtum kultureller Hintergründe dar und bildet einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Grundidee des zu entwickelnden Gestaltungsprojektes.

Zunächst einmal gilt es herauszufinden, wie viele Nationen in der Hindemith Schule vertreten sind. Die sich hier bietende Vielfalt eröffnet das Abenteuer, das ganz Besondere und je Eigene des kulturellen Herkommens ebenso zu bestimmen, wie die entscheidenden Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu erforschen. „Viele sind wir“, heißt es in einem Gedicht von Pablo Neruda. Viele, das bedeutet nicht nur Vielzahl, es kann eben auch Vielfalt bedeuten.
Die Künstlerinnen Anny und Sibel Öztürk beziehen sich in ihrer persönlichen und künstlerischen Identität auf zwei Kulturen, auf Deutschland, als dem Land ihres Lebens- und Arbeitsschwerpunktes und auf die Türkei, als dem Land ihrer familiären Wurzeln. Ihre Arbeit ist wesentlich geprägt und inhaltlich bestimmt von der Verwurzelung in mehr als nur einer Kultur. Ihre Stärke ist es, in im Wortsinne vielschichtigen Erzählungen, kulturelle Muster in ihren Erzählungen zu überblenden und dabei zu erstaunlich einfachen, aber höchst eindrücklichen Bildzeichen zu finden. Ein weiterer, wichtiger Aspekt ihrer Arbeit ist die Offenheit für kreative Beteiligungen und Kooperationen. Eines ihrer Projekte haben sie „Labor“ genannt. Tatsächlich ist das offene Labor, die für viele geöffnete Arbeitsstätte, die große „audience-participation-number“ ein ganz wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit.
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Ziel des Projektes ist es, den Schülern und Schülerinnen, das was sie in alltäglicher Erfahrung als aneinander fremd und trennend erleben mögen, als eine Stärke und Bereicherung zu erschließen. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler sich die Schule als „ihren“ Ort erobern, einen Ort, den sie gestalten können, an dem ihre Interessen und Identitäten sichtbar prägende Zeichen hinterlassen.

Der Titel des Projekts zitiert mit „Another Brick in the Wall“, den 1979 veröffentlichten Welthit der britischen Rockband Pink Floyd. In dem leider etwas schlichten Text dieses Liedes werden öffentliche Bildungsaufträge ebenso als missbräuchlich verunglimpft, wie der Bau von Mauern. Während ohne Zweifel Bildung ebenso fördern kann, wie Mauern schützen und umfrieden, so wird in diesem Projekt jede Stimme, jede von den Schülerinnen und Schülern eingebrachte Idee, zu einem Baustein zum Aufbau der gemeinsam  entwickelten Wandgestaltung.

Rafael von Uslar 

Everyone is an Island

Everyone is an Island, 2011

Kuratiert von Anny und Sibel Öztürk

Ausstellung im Hauptbahnhof Offenbach zur Buchmesse mit dem Schwerpunkt „Island“.

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Partizipierende Künstler: Anna Lindal, Levent Kunt, Markus Bujak, Troy-Anthony Baylis

Jeder Mensch ist irgendwie und irgendwo eine Insel, Künstler sind dazu noch wandernde Inseln, die häufig miteinander kollaborieren. Island und wie das funktionieren kann, das ist von 22. 9 bis zum 22.10 im Offenbacher Hauptbahnhof zu sehen. In Zusammenarbeit mit dem Kunst- und Kulturprogramm der Buchmesse „Sagenhaftes Island“ und dem Forum Kultur und Sport der Stadt Offenbach ist eine Ausstellung entstanden, die in der ehemaligen Schalterhalle und den Ausstellungsräumen der Hochschule für Gestaltung im Hauptbahnhof Offenbach isländische Künstler präsentiert und nicht isländische, die sich entweder mit dem Thema Island befassen, oder die wie Troy- Anthony Baylis in Island gelebt und gearbeitet haben.

Kuratiert wurde die Ausstellung von den beiden Offenbacher Künstlerinnen Anny und Sibel Öztürk.

In der Galerie stellt die isländische Künstlerin Anna Lindal ihre Videoinstallation „Borders“ aus, ein sehr persönliches Stück Island, zu dem der Betrachter eingeladen wird.

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Die zweite Installation „Fabulous Offenbach“ der Künstlerin holt den Garten ins Haus, die Grenzen zwischen Natur und gebautem Raum verschwimmen.

 

Levent Kunt importiert mit „Mimesis“ ein Stück Reykjavik, der Ausstellungsraum passt sich während der Ausstellung ständig den klimatischen Gegebenheiten der Stadt im hohen Norden an.

 

Die Foto- und Handarbeiten von Troy-Anthony Baylis „Installations for Tomorrow“ verwandeln den ehrwürdigen Baum der ehemaligen Bahnhofsgaststätte in ein Gerüst und in eine Projektionsfläche. Allen Künstler der Ausstellung ist gemein, dass sie sich mit dem urbanen Leben und der Natur befassen und den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung liebevolle und überraschende Innen- und Außenansichten eines Landes zeigen, das sich nicht nur durch seine raue und wechselhafte Natur auszeichnet, sondern auch starke Künstler und Filmer zu bieten hat.

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Einen besonderen Kontrapunkt stellte die wiederbelebte ehemalige Schalterhalle dar, in der Markus Bujak mit seiner Rauminstallation Sirkus Bar die Frage aufwarft: Reisezentrum oder Bar? Zutaten zu der außergewöhnlichen Arbeit wurden isländische Musik, isländische Getränke und isländische Filme. Was zunächst vielleicht auf den ersten Blick als Bar erschien, entpuppte sich als persönliches Reisezentrum. Daneben wurden in dem ehemaligen Reisezentrum durchgehend unter anderem Filme von unterschiedlichen isländischen Filmemachern wie Sigor Rós oder Egill Sæbjörnsson gezeigt.

 

 

 

unspeakable home – Buchprojekt

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die luft kühlt langsam etwas ab, die stadt kommt ein wenig zur ruhe. das sonnenlicht schwingt sich friedlich durch die hohen fenster ins haus, streift dabei das gitterartige netz des fenstergerüsts, erreicht die kissen, die auf dem am fenster stehenden diwan aufgereiht sind, berührt fast jedes einzelne blatt der zimmerpflanze, geht die linien des beistelltisches ab und endet als zauberhaftes licht -und schattenspiel auf den bildern und der tapete an den wänden und auf dem ornamentalen muster des seidenen orientteppiches auf dem boden.

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ich lasse die goldenen strahlen der abendsonne durch meine geschlossenen lider dringen und empfange ihre warmen berührungen auf meinem gesicht. und ich brauche die augen nicht zu öffnen, um das wohnzimmer meiner großeltern, das haus meiner oma, zu beschreiben. es ist eingetaucht in goldenes licht. von zwei seiten dringt dieses üppig und hell hinein.

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die fensterfronten recken und strecken sich von einer wand zur anderen und sind fast bodentief und deckenhoch. das schachbrettartige muster der schatten rastert den raum und die sonne scannt jeden gegenstand, der sich ihr in den weg stellt.

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es ist später nachmittag in istanbul, kurz vor der blauen stunde, kurz bevor die sonne noch ein letztes mal mit aller kraft aufleuchtet für diesen tag, dann beinahe brennend feuerrot am horizont verschwindet und das licht hinter sich ausmacht. meine lieblingszeit.

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ich liebe diese besinnliche ruhe, die für kurze zeit der hektik des tages die stirn bietet und den atem innehalten lässt. alle kinder rennen heim, die väter fahren nach hause zu ihren familien, das geräusch von schuhgeklapper verringert sich für einen augenblick, denn länger dauert sie nicht an, diese ruhige minute. dann nimmt alles wieder seinen gewohnten lauf.

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mein vater hasst diese zeit des tages. er hasst, dass alle kinder heim zu ihren müttern rennen, dass die väter von der arbeit zurückkehren und am tisch mit der familie zusammenkommen, um gemeinsam das abendessen einzunehmen. er hasst, dass sich das geräusch von schuhgeklapper verringert, um den abend einzuläuten. denn dann bringen die mütter ihre kleinen zu bett und lesen ihnen noch vor, streicheln ihnen über das haar und decken sie fürsorglich zu, geben ihnen einen gutenachtkuss. „morgen früh, wenn gott will, wirst du wieder geweckt“. ein kurzer blick der mutter noch durch den schmalen türspalt, dann dringt leise das licht aus dem flur in das kinderzimmer und verspricht geborgenheit. doch diese mutter war abwesend im hause meines vaters. der spalt in der tür blieb dunkel. kein versprechen. keine gewissheit.

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ich öffne die augen. die sonne ist weitergewandert und sie erreicht meine lider nicht mehr. das köstliche fensterblatt jedoch, die große zimmerpflanze, die durch das halbe wohnzimmer wächst, wirft seine schatten nun an die wand und auf den alten sessel, der neben dem diwan steht. es ist die lieblingspflanze meines opas, die er jahrzehntelang wie seinen augapfel gehütet hat. Ich hatte sie als baby fast zu grunde gerichtet, auf jenem sessel sitzend, ihr die blätter abgerissen. und mein opa hatte dabei zugeschaut und sich an meiner freude erfreut. das beweisfoto klebt im familienalbum und ermuntert meine eltern, mir jedes mal diese geschichte zu erzählen, wenn wir das dicke, braune buch in den händen halten.

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die stadt atmet weiter, der zauber ist gebrochen, die straße zeichnet mit langen schatten ein bild ihrer unmittelbaren umgebung. ich höre die stimmen meiner mutter und der urgroßmutter aus der küche. Sie bereiten auf dem feuer des gasherdes das abendessen zu und meine uroma gibt ihr wissen an die enkelin weiter. meine kleine schwester sitzt auf dem schoß des opas, der mit meinem vater auf dem balkon das allabendliche pläuschchen hält. Sie reden über politik, sport und über alte zeiten. meine schwester schaut opa groß an und zieht ihn an seinem weißen, osmanischen schnurrbart.


bevor die sonne ganz verglüht ist, renne ich schnell raus, laufe durch die eingangshalle, wo die glaskanister mit trinkwasser stehen, vorbei an der garderobe und dann die große außentreppe runter, in den riesigen garten, um dem tag lebwohl zu sagen. es duftet nach blumen und nach obst und erde und nach meer. süßlich und satt riecht es.

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der simitverkäufer läuft an unserem gartentor vorbei und bietet seine sesamkringel mit einem fast gesungenen ruf an: „siiiiiimiiiiiiiiiijiiiit, siiiiimiiiiiijiiiiit…“, katzen schleichen durchs tor in den garten auf ihrem weg zu ihren schlafplätzen oder sitzen auf der mauer und lecken ihre tatzen. menschen eilen noch schnell zum bakkal an der ecke, um brot und andere lebensmittel zu besorgen, bevor es nach hause geht.

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das licht spendet nun die straßenlaterne, die im fliegenden wechsel mit der sonne den versuch unternimmt, den platz vor unserem haus und die straße zu erhellen. ihr licht leuchtet schwach auf die obstbäume im garten, verfängt sich in deren blättern und früchten und verliert sich in dem dunklen gewirr der sträucher.

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ich stehe jetzt mit dem rücken an den noch warmen gitterstäben des eisernen tores gelehnt und schaue aus dem garten auf das hell erleuchtete fenster des hauses meiner oma hoch. Nun dringt das helle, warme licht der lampen aus dem wohnzimmer durch das hohe fenster, das die gesamte vorderfront des hauses einnimmt, hinaus auf den balkon, hinaus in die stadt, wie ein leuchtturm und leuchtet mich heim.

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nun sind es die inneren, die zu den äußeren schatten werden, die sich auf der fassade des hauses spiegeln, um dann in dem dichten und dunklen gewirr der pflanzen und sträucher des gartens zu verschmelzen und zu verschwinden.

auch mich nehmen sie auf in die dunkelheit.

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Frankfurter Zimmer (Re-Collection)

Re-Collection“ and „Dresdner Zimmer“

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Anny and Sibel Öztürk`s works are founded on the experience of their parents immigration to Germany in the `70s. Anny was born in Turkey, Sibel in Germany, but they were both brought up in Frankfurt. They know their own Turkish past/identity (only) from pictures, stories and some visits to Turkish relatives. In their „Frankfurter Zimmer („Re-Collection“) they reconstructed a (their) Turkish room – based on a mixture on narrative, memory and imagination. The room contains various pieces of furniture, (their) toys, old photographs and documents, and a replica of their aunts beloved divan, all in `70s style. Super-8 films of the two girls are shown on a television. A series of color drawings on the wall shows the little black haired Anny in the first year of her life:“I could already talk when I was only six month old. The thing I loved doing most was watching people and listening to them“, it says under a picture from the „Familienalbum“ series.

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The Frankfurter Zimmer is more than a reconstruction of a Turkish identity that ultimately – like the room itself – has to remain incomplete. The so called „Dresdner Zimmer“ was created as a counterpart to the Frankfurter Zimmer. The Öztürks travelled to the former GDR for the first time in the year 2000, where they found places that seemed to fit precisely with their image of East Germany. They also believed that the GDR was gray, bleak, dull, sunless ect. The Czech, Polish and generally Eastern European movies that they saw as children, like „Lucy der schrecken der Strasse“, „Die Zauberbraut“, „Das eiserne Herz“, ect, ultimately shaped their image of the GDR, which seemed to be generally much less colourful than the Federal Republik. In their „Dresdner Zimmer“ the Öztürk`s realized an image that they had had in their heads for years. They used cardboard, fabric and self-adhesive imitation woodgrain plastic veneer to built an armchair, a sofa, a table and a sideboard. Stills taken from well-known Defa movies hung on the walls of the room. The Frankfurter Zimmer and the „Dresdner Zimmer“ relate to each other and the way the rooms were constructed is made absolutely clear: the reconstructions are obviously reconstructions, the furnishings are fragmentary, just enough to show the intended function of the individual rooms.

The Öztürk`s projection of East Germany is just as much based on clichéd conceptions as the image of their own cultural identity is, the latter in turn being built on a specifically German conception of what Turkish culture is. Cultural identity appears in the work of Anny and Sibel Öztürk`s as a construct.“

Barbara Steiner

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Dresdner Zimmer

Dresdner Zimmer (2000)

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The Dresden Room was realized as a counterpart of the Frankfurt Room. In 2000, the Öztürks visited the former East Germany for the first time. They came across places that seemed perfectly compatible with the image they had in their mind of the East. Just as the two artists conceived of Turkey as a ‚black-and-white‘ country because of the black-and-white photographs hanging in their grandparents‘ homes, they also believed that East Germany was a grey, bleak and faded country in which the sun never shone. Their perception of (life in) the East was ultimately the product of images they had seen as children in Czech or Polish movies. The Dresden Room contains furniture – an armchair, a sofa, a table and sideboard – made of cardboard, fabric and self-adhesive imitation-wood-grain plastic veneer. Stills taken from famous DEFA movies (the Deutsche Film-Aktiengesellschaft was the East German state’s official film studio) hang on the walls. In both the Frankfurt Room and the Dresden Room, the Öztürks contrasts their memories of a Turkish childhood with their views of childhood in East Germany, and in both cases they fall back on the clichéd images that underlie their view of the two cultures.

Barbara Steiner

Preparations for a Journey

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Preparations for a Journey (2002)

Ankunft am Bahnhof. Im Wirrwahr der Menschenmenge kommt die Familie kaum durch. Alle sind aufgeregt. Der Zug ist am Gleis und sie steigen ein. Draußen stehen Menschen, die sich verabschieden. Die Reise beginnt. Im Koffer ist nur das Nötigste für die erste Zeit. Ein letzter Blick auf Istanbul…
So könnte jede stereotype Reise eines Gastarbeiters und seiner Familie beginnen: „ein Koffer voller Träume“.
Aber Anny und Sibel Öztürks Inszenierung eines deutschen Zugabteils, dass in den 1960er und 1970er Jahren zum Transport von tausenden Gastarbeitern nach Deutschland diente, ist mehr als nur eine historische Rekonstruktion. Die Wände des Zugabteils sind aus Furnier und die Sitze sind einfach zusammengebaute Bänke.
Weil man einander gegenüber sitzt, ist es schön sich dort aufzuhalten, aber nicht wirklich bequem. An den Wänden hängen ein paar „echte“ Versatzstücke: Spiegel der deutschen Bahn, Aschenbecher, Ablagen. An der Stirnwand ist ein Fenster angebracht. Die Mischung aus Nachbildung und Original beschreibt die irreale Situation einer Reise, vor allem aus der Sicht der Kinder. Während einige Elemente der realen Erinnerung entsprechen,
sind andere nur noch Referenzen, die in die Sphäre des Imaginären ragen. Im Hintergrund ist ein Zug und ein Super8-Projektor zu hören, aber das Abteil bewegt sich nicht und die Bilderam Fenster zeigen keine vorüber gleitende Landschaft.

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Die Reise als Innere und äußere Bewegung wird in „Preparation for a Journey” auf den Punkt gebracht. Deutschland beginnt sich in den Köpfen der Reisenden zu materialisieren – lange bevor der erste Koffer gepackt ist. Erste reale Begegnungen mit dem Ziel ist das deutsche Zugabteil. Indem Moment, in dem die Reise ihren Lauf nimmt, wird sie von Rückbesinnungen auf ein bisheriges Leben begleitet. Die projizierten Super8-Filme
verweisen auf eine Reise zurück in die Kindheit. Diffuse Erinnerungen: Die Eltern, der Park, aber wo war das? Wo findet Heimat statt?
Migration wird gerne als Zerrissenheit beschrieben. Es gelingt den Öztürks, dieser negativen Wertung eine persönliche Geschichte zu entgegnen, die aus einer wartenden und unentschlossenen Masse von unberechenbaren Individuen, Menschen mit interessanten Erfahrungen und einer eigenen Geschichte macht. Die Hybridität von Migration bettet sich heutzutage fast von selbst in einer globalen Weltanschauung ein.

Alexandra Ventura

Jolie Charité

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Jolie Charité (2007)

Auf einer Wand findet sich ein aus einzelnen Leuchtbuchstaben gebildeter Schriftzug. Daneben hängt links eine Zeichnung mit Textzusatz und rechts eine Reihe von Photographien. Vor der Wand, frei im Raum, befindet sich ein thekenartiges Möbel, auf dem Informationsmaterial zum Projekt „Jolie Charité“ ausliegt.
Jeder einzelne Buchstabe steht zusammen mit einer Zeichnung zum Verkauf. Mit dem Erwerb des Kunstwerkes geht die Übernahme einer einjährigen Patenschaft für ein Kind bei SOS-KInderdorf oder eine Projektpatenschaft bei Unicef einher. Photographien der im privaten Bereich der SammlerInnen installierten Buchstaben ergänzen die Installation.

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Jolie Charité besteht aus zwei Installationen, die unabhängig voneinander gezeigt werden. Einmal wird mit demSchriftzug aus farbigen Leuchtbuchstaben auf weißer Wand der Name der legendären amerikanischen Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker ausgeschrieben, und einmal der Name der amerikanischen Filmschauspielerin Angelina Jolie.

Jeder einzelne Buchstabe hat seine eigene Stromzufuhr und ein deutlich sichtbares längeres Kabel mit eigenem Stecker. Eine Vielzahl von Mehrfachsteckern
am Boden bündeln die Kabel und ermöglichen, dass der Namenszug an der Wand leuchtend erstrahlen kann.
Den mehrfarbig gestalteten Namenszug gibt es für zukünftige Fassungen dieser Installation in verschiedenen Farbfassungen. Im Raum befindet sich ein thekenartiges Möbel, das sich durch Schlichtheit und gestalterische Klarheit auszeichnet. Auf dieser Theke befinden sich von den Künstlerinnen gestaltete Informationsbroschüren,
die über das Projekt „Jolie Charité“ und sein Anliegen informieren, sowie Material der Organisationen UNICEF und SOS-Kinderdorf.
Neben Schriftzug und Theke hängt je eine Zeichnung, die motivisch und mit Text in das Projekt einführt. Daneben sind einige Photos an der Wand angebracht.

Die Zeichnung Jospehine Baker

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Die Zeichnung nimmt ein Photo zur Vorlage, auf dem Josephine Baker mit all ihren Kindern versammelt zu sehen ist. Gemeinsam pusten sie die Kerzen auf einer Geburtstagstorte aus, wer genau Geburtstag hat zu diesem Anlass ist nicht zu erkennen, denn alle Kinder gemeinsam sind Protagonisten dieses Anlasses. Die Zeichnung hat
den Textzusatz: Ich selbst kannte sie lange Zeit nur als „die Tänzerin mit dem gelben Bananenröckchen“.
Josephine Baker adoptierte 12 Kinder verschiedener Hautfarben und Ethnien, damit protestierte sie auf ihre Art gegen den Rassismus. Oh, jolie Charitè!
Josephine Baker starb 1975 nach einem sensationellen Come-Back. Im Jahr 1975 war Anny Öztürk fünf Jahre alt und Sibel Öztürk wurde geboren. Für die Künstlerinnen ergibt sich folgerichtig die ihrer Zeitgenossenschaft entsprechende Rezeption der Ereignisse, die eine Nachfolge vor dem Vorbild sichtbar werden lässt. Das heißt: Die im Hier und Jetzt agierende Angelina Jolie lenkt den Blick zurück auf ihr historisches Vorbild.

Die Zeichnung Angelina Jolie

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Das aquarellierte Blatt zeigt das amerikanische Schauspielerehepaar Brad Pitt und Angelina Jolie mit ihrer aus Äthopien stammenden Adoptivtocher Zahara und ihrem aus Kambodscha stammenden Adoptivsohn Maddox.
Die multikulturelle Familie hat sich in ihrer Küche und um eine frei im Raum installierte Spüle versammelt. Vor dem Paar steht ein Teller mit Obst, von denen Pitt isst. Jolie hält den Mund geöffnet, wie um zu einem breiten Lächeln oder einem Lachen anzusetzen. Der momenthafte Eindruck der Szenerie verstärkt den Charakter des Privaten. Zugleich jedoch wirken die Haltungen der Dargestellten wie Posen, was die Situation eher als Teil einer
offiziellen „Home-Story“ erscheinen lässt. Hinter der Familie gibt eine offene Tür den Blick auf einen Flur und weitere Zimmer frei. Links neben den Personen hängt an der Wand ein mit einem frei über die Wand geführten schwarzen Kabel, als Leuchtmittel gekennzeichnetes rotes Objekt in der Form eines accent agui. Unter der Zeichnung findet sich ein Textzusatz:
„Mir gefällt die Idee, das accent aigu von der Berliner Charité zu entwenden. Ich würde es Angelina Jolie schenken. Sie soll es in ihre Küche hängen und als Wandleuchte nutzen, wenn sie mit ihrer bunt gewürfelten Familie Zuhause kocht. Das accent aigu sollte so zu ihrem Leben gehören, wie ein weiteres adoptiertes Kind etwa.“

Das Projekt
Die einzelnen Buchstaben des Schriftzuges der Installation stehen zum Verkauf. Jeder erworbene Buchstabe wird mit einer Zeichnung begleitet, einem Original in Serie, die mit der in der Installation gezeigten Zeichnung identisch ist. Zusammen mit dem Leuchtbuchstaben und der Zeichnung wird „automatisch“ eine im Verkaufspreis
inbegriffene einjährige SOS-Kinderdorf für ein Kind oder eine Unicef Projektpatenschaft übernommen.
Die geneigten SammlerInnen sind aufgefordert, die erworbenen Buchstaben zusammen mit der Zeichnung im eigenen Heim zu installieren und den Leuchtbuchstaben als Lampe zu benutzen. Dabei wäre es wünschenswert, würden die Leuchtkörper im Bereich des alltäglichen Umfelds platziert und aufgenommen.

Die Photographien

Die solchermassen im privaten Umfeld integrierten Buchstabenlampen werden, bevorzugtermassen mit den ins Bild gerückten SammlerInnen, von den Künstlerinnen dokumentiert. Diese Photos werden zu einem Bestandteil der Installation im Museum.

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Die solchermassen im privaten Umfeld integrierten Buchstabenlampen werden, bevorzugtermassen mit den ins Bild gerückten SammlerInnen, von den Künstlerinnen dokumentiert. Diese Photos werden zu einem Bestandteil der Installation im Museum.

Jospehine Baker und Angelina Jolie

Die legendäre amerikanische Künstlerin Josephine Baker war eine der bedeutendsten Entertainerinnen ihrer Zeit.
Sie war eine Vorreiterin im Kampf gegen Rassentrennung und Rassismus, Mitglied der Restistance und sprach als einzige Frau bei Martin Luther Kings Marsch auf Washington. Für ihr politisches Engagement wurde sie mit zwei der höchsten politischen Auszeichnungen Frankreichs geehrt, dem Croix de Guerre und der Mitgliedschaft in
der Légion d`Honneur. Seit 1950 startete sie ihr eigenes, privates „Experiment der Brüderlichkeit“, indem sie eine Familie gründete und seit 1950 12 Kinder unterschiedlicher nationaler, ethnischer und religiöser Herkunft adoptierte. Diese Familie bezeichnete sie als „The Rainbow tribe“ und verstand ihr Familienleben als ein wegweisendes politisches, kulturelles und soziales Vorbild.
Diesem großen und überaus beeindruckenden Vorbild folgt die amerikanische Filmschauspielerin Angelina Jolie seit einigen Jahren mit dem Konzept, über Adoptionen eine große multikulturelle Familie aufzubauen. Seit ihrer Ehe mit Brad Pitt wird diese Familie auch um eigene Kinder ergänzt. Auch Jolie spricht so folgerichtig von ihrer
„Regenbogenfamilie“. Angelina Jolie und Bratt Pitt stellen ihre große internationale Bekanntheit und Popularität in den Dienst internationaler politischer und sozialer Arbeit. Angelina Jolie ist seit 2001 „Botschafterin der guten Hoffnung“ des United Nations High Commissioner for Refugees; eine Aufgabe, die sie mit großem Engagement wahrnimmt und für die sie 2005 mit dem „Global Humanitarian Action Award“ ausgezeichnet wurde. Jolie ist außerdem Unicef-Botschafterin. Gemeinsam mit ihrem Mann unterstützt sie zahlreiche internationale Hilfsprojekte und globale Interessengruppen.
Beide Frauen eint der Wille, außerhalb des öffentlichen Engagements für ihre politischen und sozialen Überzeugungen auch das Familienleben als eine Frage des politischen und sozialen Engagements dann dochbedingt öffentlich und multikulturell mit klarer politischer Signalwirkung zu gestalten.

„Jolie Charité“

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Die Installation nimmt das vorbildliche Beispiel sozialen Handelns der beiden Frauen Josephine Baker und Angelina Jolie symbolisch auf und verpflichtet spielerisch und mit Humor die Sammler/innen zu einer Teilnahme.
Im Zusammenspiel mit der über das Kunstwerk im Projekt vermittelten Patenschaft geht es hier um mehr als um den Erwerb einer weiteren künstlerischen Arbeit. Ein Erwerb bedeutet eine Teilnahme an dem Projekt „Jolie Charité“. Es wäre wünschenswert, würden die Sammler/innen vor diesem Hintergrund ein Leben mit den Leuchtbuchstaben gleichsam als „Adoption“ des Objektes in die eigenen Lebenszusammenhänge begreifen.
So legt das Projekt „Jolie Charité“ eine Nachahmung des leuchtenden Beispiels von Josephine Baker und Angelina Jolie nahe, auch wenn die Sammler/innen im Gegensatz zu diesen beiden Frauen in ihrem Zuhause nicht ein Kind, sondern vielmehr eine Lampe aufnehmen. Diesen Lampen jedoch ist ein in jeder Hinsicht erhellendes Wirken zu wünschen!

Rafael von Uslar