From inner to outer shadows II

From inner to outer shadow II

Multimedia-Installation im Wohnzimmer der Familie Richter

Lichtkunstbiennale, Bergkamen 2010

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Die Installation from inner to outer shadow II ist der Beitrag von Anny und Sibel Öztürk für die 1. BIENNALE FÜR INTERNATIONALE LICHTKUNST Lichtkunst im Wohnzimmer, 2010
Standort dieser Arbeit ist ein Privatraum, ein Wohnzimmer.


Einer Wand mit Fenster ist mit einigem Abstand eine zweite Wand aus Rigipsplatten vor gestellt. In ihrem äußeren Erscheinungsbild ist diese Wand der, die sie verbirgt als möglichst exakte Kopie angepasst. Der Zwischenraum steht der, für die Installation nötigen Technik zur Verfügung.
Statt einen Ausblick zu gewähren, wie das Fenster der Originalwand, fungiert sein Doppel als Quelle eines externen, szenisch gestalteten Lichtereignisses. In diesem, einige Minuten dauernden Moment, strahlt das Licht- Bild einer untergehenden Sonne auf den Raum ab. So ereignet sich ein Licht –und Schattenspiel, das sich langsam durch den Raum bewegt. Zunächst einmal sind es die hier vor – gegebenen Gegenstände, deren Schattenwurf nachvollzogen werden kann. In diesen Ablauf jedoch greift eine Schattenerscheinung ein, deren Gegenstand nicht im Raum zu finden ist. Sichtbar wird der Anblick einer großblättrigen Topfpflanze der Gattung Monstera deliciosa, genannt Fensterblatt, vor einem rasterartigen Fenstergitter.
Das Bild der durch den Raum wandernden Licht und Schattenstrahlen ist mit dem der Pflanze verbunden in einer Jugenderinnerung der Schwestern an ihre Urgroßmutter. In ihrem Auftritt in fremdem Raum weißt sich diese Erinnerung über den Schatten der im Raum nicht präsenten Pflanze als individuelles Erinnerungsbild nach. Für die BetrachterInnen eröffnet sich die Möglichkeit ein eigentlich tageszeitlich und Standort gebundenes Ereignis
außerhalb aller äußeren Bedingtheiten zu erleben. In der Wirkung des Lichtes auf den Raum werden eigene Erlebnisse und Erinnerungen abrufbar. Mit dem Auftreten des Pflanzenschattens eröffnet sich eine zweite Ereignisebene auf der etwas geschieht, was auch die vorgefundenen räumlichen Gegebenheiten verlässt und zu einem eigenen Erzählungsraum wird. Hier wird deutlich, dass das beobachtete Ereignis als Bild für das Erinnerte
eines Anderen einsteht.

Die BetrachterInnen befinden sich in den Privaträumen anderer Menschen, die ihre anonymen GastberInnen sind, so wie sie deren anonymen Gäste. Dies allein schon stellt eine Intimitätsverletzung dar, die dem Ausstellungsbesuch voraussätzlich ist. Dem aufgesuchten persönlichen Lebensumfeld ist darüber hinaus das Bild einer persönlichen Erinnerung eingestellt worden. Die Teilhabe an dieser persönlichen Erinnerung eines Anderen, stellt einen zusätzlichen Einbruch in eine weitere Privatssphäre dar. Auf dieser Ebene ergänzen sich Ausstellungskonzeption und die Arbeit in direkter Weise.
Das Lichtereignis dieser Installation verbindet gegebenen Raum mit Erinnertem und darin einen Ort in Deutschland mit einem Ort in der Türkei. In diesem Aufeinandertreffen überschneiden sich verschiedene Zeitachsen so, wie sich in der Wahrnehmung der Arbeit verschiedene Ebenen des Privaten und des Öffentlichen miteinander verschränken.


From inner to outer shadow II steht in engem Zusammenhang mit einer Reihe von Erinnerungsbildern gewidmeten Arbeiten von Anny und Sibel Öztürk. Dazu gehören das Familienalbum und die Installation Behind the Wheel, vor allem aber das Rear Window und Lido. Letztere Installationen arbeiten mit den unterschiedlichsten Mittel um den BetrachterInnen eine Teilhabe an den Erinnerungen der KünstlerInnen möglich zu machen. Die Wahrnehmung dieser Arbeiten ermöglicht es die fremde Erinnerung als eine selbst erlebte der eigenen Erinnerung anzueignen.


Rafael von Uslar

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die luft kühlt langsam etwas ab, die stadt kommt ein wenig zur ruhe. das sonnenlicht schwingt sich friedlich durch
die hohen fenster ins haus, streift dabei das gitterartige netz des fenstergerüstes, erreicht die kissen, die auf dem,
am fenster stehenden divan aufgereiht sind, berührt fast jedes einzelne blatt der zimmerpflanze, geht die linien
des beistelltisches ab und endet als zauberhaftes licht -und schattenspiel auf den bildern und der tapete an den
wänden und auf dem ornamentalen muster des seidenen orientteppiches auf dem boden.
ich lasse die goldenen strahlen der abendsonne durch meine geschlossenen lider dringen und empfange ihre
warmen berührungen auf meinem gesicht. und ich brauche die augen nicht zu öffnen, um das wohnzimmer
meiner grosseltern, das haus meiner oma, zu beschreiben. es ist eingetaucht in goldenes licht. von zwei seiten
dringt dieses üppig und hell hinein.
die fensterfronten recken und strecken sich von einer wand zur anderen und sind fast bodentief und deckenhoch.
das schachbrettartige muster der schatten, rastert den raum und die sonne scannt jeden gegenstand, der sich ihr
in den weg stellt.
es ist später nachmittag in istanbul, kurz vor der blauen stunde, kurz bevor die sonne noch ein letztes mal mit
aller kraft aufleuchtet für diesen tag, dann beinahe brennend, feuerrot am horizont verschwindet und das licht
hinter sich ausmacht. meine lieblingszeit.

ich liebe diese besinnliche ruhe, die für kurze zeit, der hektik des tages die stirn bietet und den atem innehalten
lässt. alle kinder rennen heim, die väter fahren nach hause zu ihren familien, das geräusch von schuhgeklapper
verringert sich für einen augenblick, denn länger dauert sie nicht an, diese ruhige minute. dann nimmt alles
wieder seinen gewohnten lauf.
mein vater hasst diese zeit des tages. er hasst, dass alle kinder heim zu ihren müttern rennen, dass die väter von
der arbeit zurückkehren und am tisch mit der familie zusammenkommen, um gemeinsam das abendessen
einzunehmen. er hasst, dass sich das geräusch von schuhgeklapper verringert, um den abend einzuläuten. denn
dann bringen die mütter ihre kleinen zu bett und lesen ihnen noch vor, streicheln ihnen über das haar und decken
sie fürsorglich zu, geben ihnen einen gutenachtkuss. „morgen früh, wenn gott will, wirst du wieder geweckt“. ein
kurzer blick der mutter noch durch den schmalen türspalt, dann dringt leise das licht aus dem flur in das
kinderzimmer und verspricht geborgenheit.
doch diese mutter war abwesend im hause meines vaters. der spalt in der tür blieb dunkel. kein versprechen.
keine gewissheit.
ich öffne die augen. die sonne ist weitergewandert und sie erreicht meine lider nicht mehr.
das köstliche fensterblatt jedoch, die grosse zimmerpflanze, die durch das halbe wohnzimmer wächst, wirft seine
schatten nun an die wand und auf den alten sessel, der neben dem divan steht. es ist die lieblingspflanze meines
opas, die er jahrzehntelang wie seinen augapfel gehütet hat. Ich hatte sie als baby fast zu grunde gerichtet, auf
jenem sessel sitzend, ihr die blätter abgerissen. und mein opa hatte dabei zugeschaut und sich an meiner freude
erfreut. das beweisfoto klebt im familienalbum und ermuntert meine eltern, mir jedes mal diese geschichte zu
erzählen, wenn wir das dicke, braune buch in den händen halten.
die stadt atmet weiter, der zauber ist gebrochen, die strasse zeichnet mit langen schatten ein bild ihrer
unmittelbaren umgebung.
ich höre die stimmen meiner mutter und der urgrossmutter aus der küche. Sie bereiten auf dem feuer des
gasherdes das abendessen zu und meine uroma gibt ihr wissen an die enkelin weiter.
meine kleine schwester sitzt auf dem schoss des opas, der mit meinem vater auf dem balkon das allabendliche
pläuschen hält. Sie reden über politik, sport und über alte zeiten. meine schwester schaut opa gross an und zieht
ihn an seinem weissen, osmanischen schnurrbart.
bevor die sonne ganz verglüht ist, renne ich schnell raus, laufe durch die eingangshalle, wo die glaskanister mit
trinkwasser stehen, vorbei an der garderobe und dann die grosse aussentreppe runter, in den riesigen garten, um
dem tag lebwohl zu sagen. es duftet nach blumen und nach obst und erde und nach meer. süsslich und satt riecht
es.
der simitverkäufer läuft an unserem gartentor vorbei und bietet seine sesamkringel mit einem fast gesungenen ruf
an: „siiiiiimiiiiiiiiiijiiiit, siiiiimiiiiiijiiiiit…“, katzen schleichen durchs tor in den garten, auf ihrem weg zu ihren
schlafplätzen oder sitzen auf der mauer und lecken ihre tatzen, menschen eilen noch schnell zum bakkal an der
ecke, um brot und andere lebensmittel zu besorgen, bevor es nach hause geht.
das licht spendet nun die strassenlaterne, die im fliegenden wechsel mit der sonne den versuch unternimmt, den
platz vor unserem haus und die strasse zu erhellen. ihr licht leuchtet schwach auf die obstbäume im garten,
verfängt sich in deren blättern und früchten und verliert sich in dem dunklen gewirr der sträucher. ich stehe jetzt
mit dem rücken an den noch warmen gitterstäben des eisernen tores gelehnt und schaue aus dem garten auf das
hell erleuchtete fenster des hauses meiner oma hoch. Nun dringt das helle, warme licht der lampen aus dem
wohnzimmer durch das hohe fenster, das die gesamte vorderfront des hauses einnimmt, hinaus auf den balkon,
hinaus in die stadt, wie ein leuchtturm und leuchtet mich heim.
nun sind es die inneren, die zu den äusseren schatten werden, die sich auf der fassade des hauses spiegeln, um
dann in dem dichten und dunklen gewirr der pflanzen und sträucher des gartens zu verschmelzen und
zuverschwinden.
auch mich nehmen sie auf in die dunkelheit.


Anny und Sibel Öztürk

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